Warum?

Wir Deutschen sind allzuleicht verführbar

25. Februar 2022 - Von Henrik Paulitz

Die vielfach nur "zelebrierende Auseinandersetzung" mit den Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts und die tiefe Prägung durch die "Glaubenskriege um einen Ost-West-Konflikt" haben u.a. auch uns Deutsche teilweise phantasielos und erneut verführbar gemacht, da wir geneigt sind, sofort zuzustimmen, sobald eine vorgeschlagene politische Maßnahme auf die eine oder andere Art "moralisch begründet erscheint". Und dann machen wir es uns im so genannten Land der Dichter und Denker in der Praxis doch eher leicht, wenn es darum gehen müsste, die Plausibilität "der jeweiligen Moral" ernsthaft zu überprüfen: Wenn es ins gewohnte Denk-Schema passt, dann scheint es schon in Ordnung zu sein, und dann machen wir uns auch keine weiteren Gedanken darüber, welche Gewalt, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit der dann recht leichtfertig befürworteten Maßnahme möglicherweise verbunden sein könnte. Wir wissen natürlich inzwischen, dass im Krieg - so wie jetzt - die Wahrheit stets auf der Strecke bleibt, und dennoch starren wir wie gebannt auf die uns präsentierten Bilder und wir glauben wieder einmal auf die eine oder andere Weise den präsentierten Geschichten von den "Guten" und den "Bösen", so als handele es sich um einen Hollywoodstreifen. Dass sich das vermeintlich Gute recht schnell in extrem brutaler Weise gegen uns selbst wenden könnte, ist Teilen unserer Wohlstands-verwöhnten Gesellschaft teilweise noch zu wenig bewusst. Die aktuellen Geschehnisse sollten wir daher dringend zum Anlass nehmen, in einen völlig neuen Prozess der Nachdenklichkeit einzusteigen.

Es ist natürlich bequem, in dieser aktuell sehr unübersichtlich erscheinenden Welt irgendwie an die angestammten Überzeugungen zu glauben. Für die einen ist es Pazifismus, für andere ist es Bündnistreue, oder Abschreckung, oder auch der heiße Krieg, für oder gegen wen auch immer.

Jeder ist merkwürdigerweise für "Verhandlungen", obwohl kaum jemand weiß, über was bei den Gesprächen hinter verschlossenen Türen gesprochen oder verhandelt wird und was bei solchen Gesprächen möglicherweise gemeinsam geplant wird. Sind wir dabei, bei diesen Gesprächen, bei denen es über Leben und Tod von Massen geht? Bekamen wir nach solchen Gesprächen jemals Wortprotolle oder zumindest grobe Zusammenfassungen dessen, was die Repräsentanten der Staaten dort besprochen haben?

Ein quasi-sozialpädagogisches "Gut, dass wir miteinander gesprochen haben", worüber auch immer, ist das, womit die Weltöffentlichkeit abgespeist wird und diese sich merkwürdigerweise selbst in den westlichen Gesellschaften abspeisen lässt.

Die Forderungen nach Waffenlieferungen in die Ukraine wird nun erhoben, ohne die Frage zu stellen, gegen wen oder was diese Waffen eingesetzt werden sollen. Was ist, wenn sie gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden? Wie bei allen aktuellen Kriegen sollte man sich doch fragen, warum es stets mehr Bilder von zerstörten Gebäuden und zerstörter Infrastruktur gibt, kaum aber Bilder und Berichte von zerstörtem Kriegsgerät.

Wo bleiben bei zeitgenössischen Kriegen wie in Syrien, im Jemen etc. und jetzt in der Ukraine die Zahlen, die Bilder, die minutiösen Berichte über zig-tausend tote Soldaten bzw. Söldner, über hunderte abgeschossene Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber, über versenkte Kriegsschiffe, über tausende zerstörte Panzer, Panzerfahrzeuge und Haubitzen und vieles mehr?

Warum gibt es keine entsprechenden Bilder und Berichte vom Krieg, so wie wir sie aus den Geschichtsbüchern kennen?

Warum sehen wir in diesen Kriegen stattdessen Bilder von zerstörten Wohngebäuden, von Angriffen selbst auf Kindergärten, Schulgebäude und Krankenhäuser, von Angriffen auf die zivile wirtschaftliche Infrastruktur?

Warum beschäftigen wir uns nicht mit der Frage, warum in Kriegen weit überwiegend nur Zivilisten zu Tode kommen?

Warum gibt es keine Debatte darüber, dass in praktisch allen Kriegen die Energieinfrastruktur (Öl- und Gasfelder, Öltanks, Pipelines, Kohlebergwerke, Kraftwerke etc.) primäre Angriffsziele sind, mit der Folge der Verknappung des Energie-Angebots und der Verteuerung von Energie?

Warum reflektieren wir nicht über die tiefere Bedeutung und Zielsetzungen von "Sanktionen", nachdem eine aufgeklärte Öffentlichkeit inzwischen doch wissen könnte, dass breit angelegte Sanktionen hunderttausenden, wenn nicht Millionen Menschen den Tod bringen können.

Warum rechnen unsere Statistiker und Mathematiker nicht aus, wie viele Menschen, durch "Rückwirkungen" u.a. auch in Deutschland zu Schaden kommen könnten, wenn jetzt brachiale Sanktionen beschlossen werden?

Das wiederum wirft die Frage auf, warum außen- und sicherheitspolitische Maßnahmen meistens dazu führen, dass die eigene Bevölkerung (vielleicht am meisten) darunter leidet.

Fragen über Fragen. Das Land der Dichter und Denker bleibt auf solche Fragen gründliche Antworten weitgehend schuldig.

Das ist gefährlich.


Weitere Informationen

Kriegstreiber Energiekonzerne? Energiewirtschaftliche Weichenstellungen im Ukraine-Krieg (2015)

Anleitung gegen den Krieg (2016)

Kriegsmacht Deutschland? Informationen und Handlungsempfehlungen zu brandgefährlichen "Internationalen Erwartungen an Deutschland" (2018)